Orts- und Flurnamen
Die Tujetscher Orts- und Flurnamen
Ils nums locals da Tujetsch
da P. Ambros Widmer, Mustér
cumpariu en Tuatschina 1977
EINLEITUNG
Der Tourismus der heutigen Zeit hat immer mehr die Tendenz, auch das Kulturelle in die Ferien einzubauen. Gewiss sucht man zuerst körperliche Entspannung und Erholung, reine Luft, Sonne und Schnee, aber immer gebieterischer verlangt auch der Geist Abwechslung, Anregung und Erneuerung. Ja, man könnte noch tiefer gehen und sagen, dass heutzutage das schönste Feriengeschenk ein tiefer von Gott geschenkter Seelenfriede ist, und dass nur dann der „gehetzte Städter“ erholt aus den Ferien in den Bergen zurückkehrt, wenn neben dem Körper auch der Geist erfrischt ist, neben dem Leib auch die Seele neue beglückende Kraft gewonnen hat.
Doch bleiben wir bei der geistigen Anregung. Das rätoromanische Feriengebiet, wie es das Tujetsch darstellt, hat für den geistig interessierten Feriengast einen besonderen Reiz. Die kleine unbekannte rätische Sprache übt einen Zauber aus, dem sich der geistig geweckte Gast kaum entziehen kann. Vielleicht lernt er ein paar Wörter unserer Sprache, ja einige alljährlich wiederkommende Gäste können schon in einer rätoromanischen Konversation etwas mitmachen. Aber da bleiben noch die rätoromanischen Orts- und Flurnamen des Tales. Sie geben ihr Geheimnis nicht immer so leicht preis und doch sagen sie oft Interessantes aus, denn Orts- und Flurnamen sind die versteinerte Kultur und Geschichte einer Landschaft.
Es kann sich hier nicht darum handeln, alle Flurnamen zu erwähnen oder zu erklären. Es gibt nämlich viel mehr Namen, als der Aussenstehende auf die Nachfrage hin bekommen kann. Man kann mehrere Male vom einheimischen Gewährsmann die Namen aufzeichnen lassen, bei jedem Besuch findet man wieder neue Namen. Um so wichtiger ist es, dass nicht nur Sprachforscher, sondern auch Einheimische im Umbruch der bäuerlichen Kultur nicht die Namen in Vergessenheit geraten lassen. Man sollte die Flurnamen wie kleine Kinder hegen und pflegen, sie gehören zum kostbaren geistigen Erbe einer Gemeinde. Um die Freude am Ortsnamen bei Einheimischen und Gästen zu fördern, sind diese Zeilen geschrieben.
Wir versuchen der Reihe nach aufzuzeigen, wie die Namen entstanden sind: aus der Geländeform, aus der Landwirtschaft, der Flora, der Fauna, dem Wasser, den Menschen und schliesslich aus Kirche und Religion. Natürlich ist es mir nicht möglich, den Ort des Namens zu beschreiben. Die Orte kennen die Einheimischen viel besser, und sie können den Gästen die nötige geographische Erklärung geben.