Descendents dils Aethuatiers?

Sind die Tavetscher Nachkommen der Aethuatier?

1925 von Ing. Walram Derichsweiler, Zürich.

Bei meinen Studien über das Tavetsch zu einer Publikation im Organ des Schweizer Alpenclub erweckte das Gemeindesiegel von Tavetsch mein Interesse, und liess ich mir durch Herrn H. Hopf, Zürich, nach einem mir überlassenen Originalabdruck die beistehend
wiedergegebene Zeichnung des Siegels anfertigen. Die älteste Nachricht über ein Tavetscher Gemeindesiegel, die ich fand, stammt erst aus dem Jahre 1681, obwohl schon früher ein solches bestanden haben dürfte; denn eine Urkunde von 1309 bezeichnet die Tavetscher schon als „vincini de Tuvez„, und die geschichtsverwandte Gemeinde von Ursern hatte schon 1410 ihr eigenes Siegel. 1380 heißt es noch in einer Urkunde „won wir lüten von Thyfetz aigner insiglen nit han“.

SigilveglDas jetzt im Gebrauch befindliche Siegel von Tavetsch zeigt St. Vigilius, Bischof von Trient, mit der Palme als Märtyrer und einer Kirche auf dem Arm als eifriger Kirchengründer. Und doch ist im Bündnerland nur eine einzige Kirche ihm geweiht, nämlich die Hauptkirche des Tavetsch in Sedrun. Der Name selbst dagegen kommt auch jetzt noch vielfach im Oberland vor, teils als Vorname, teils als Familienname (Vieli, Cavigilli ). Schon in der Präsesfamilie der Victoriden und unter den ersten Churer Bischöfen finden sich Träger dieses spätromanischen Namens. Die Inschrift des Tavetscher Siegels lautet: „SIGILLUM COMUNITATIS AETHUATIENSIS„d.h. Siegel der aethuatischen Gemeinde.

Diese Inschrift beweist, daß der Siegelstock nicht vor 1560 entstanden sein kann, denn in diesem Jahre erfolgte zum ersten Mal die unrichtige Bezeichnung der Tavetscher als Aethuatier, welche 1867 der Berner A. Gatschet aufklärte. Dessen Buch, in dem sich die Aufklärung versteckt findet (Ortsetymologische Forschungen als Beiträge zu einer Toponomastik der Schweiz von A. Gatschet, Mitglied des historischen Vereins des Kantons Bern. Bern 1867. Seite 148), ist aber heute selten und wenig im Privatbesitz, weshalb sich eine Widergabe seiner Beweisführung hier rechtfertigt: Gilg Tschudi, der bekannte Geschichtsforscher von Glarus, berichtet 1560:

„Die ersten so ob allen voelkern by dem Rhin wonendt / sind die Etuatiker / dene der vrsprung des Rhins nach (nahe), ist in de berg Adula / schrybt Strabo (griechischer Geograph, der ca. 25 Jahre vor Christi Geburt lebte). Disen namen habend noch die oeberste bysessen (Beisassen) by dem vordern (!) Rhin behalten / werdendt vhs verboeserung nach grobheit yetziger art der spraach / Tauttier / oder Tauetscher genannt.“

So schreibt Tschudi in seiner Alpisch Rhetia. Er hat aber dabei unrichtig zitiert, denn das oben in Sperrdruck angeführte „vordern“ ist unberechtigte Zutat von Tschudi selbst und findet sich im griechischen Text von Strabo nicht vor. Wohl schrieb Strabo: „Am Rhein als die ersten von allen wohnen die Aethuatier.

Aber aus dein folgenden Originaltext ist deutlich erkennbar, dass Strabo hier den Hinterrhein meint und nicht den Vorderrhein, denn er weist hier auf die Nähe der Adda hin, die in den larischen See, den Comersee fliesse.

Daraufhin hat Gatschet, ohne Zitat der Stelle von Tschudi, zuerst hingewiesen.

Interessant ist nun, dass in der ersten Schweizerkarte von Dr. K. Türst, 1496, die also vor Tschudi erschien, nur die Namen: Dauetsch, Krisp (Crispalt ) vorkommen, nichts aber von den Aethuatiern (s. Jahrbuch SAC 48, S. 74), während nach Tschudi (s. Jahrbuch SAC 46, S. 105) dessen „Aetuaty“ neben „Tauetsch“ nicht mehr aus Büchern und. Karten weichen wollten. So bei Campell 1571, Guler 1616 (Jahrbuch SAC 46, S. 106 ), Scheuchzer 1716 (Jahrbuch SAC Seite 107). Sogar der Geschichtsschreiber Joh. von Müller bringt noch das Tschudische Märchen, die Tavetscher seien Nachkommen der Aethuatier und hätten von diesen ihren Namen. Diese Ansicht hörte ich auch noch mehrfach im Tavetsch selbst.

Im alten Kirchenbuch von Sedrun fand ich so auch eine Aufzeichnung, beginnend: „Fuit olim hic in Aetuatia . . .“ (Es lebte einst hier in Aetuatia … ).

Gatschet ist der Ansicht, Tavetsch und Tujetsch kämen beide von dem Dialektwort „tigia = tegia = Sennhütte“ mit der Kollektivendung -etia, hätten also die Bedeutung „Tal mit Sennhütten“. Diese Namendeutung des Tales durch seine ersten Kolonisten (1285 wird von coloni de Tivez gesprochen), Hirten und Sennen, scheint natürlicher als diejenige nach einem alten Volksstamm, von welchem die ersten Tavetscher wohl kaum eine Ahnung gehabt haben, und welcher auch an einer ganz anderen Stelle sass.

Das sollte aber die Tavetscher nicht davon abhalten, in pietätvoller Weise ihr altes Aethuatiersiegel, das Erbe ihrer Väter, beizubehalten. Hat es doch einen ganz besonderen Wert, den einer historischen Merkwürdigkeit.

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