Tujetsch da Derichsweiler
TAVETSCH/TUJETSCH (seit 1976 romanisch: Tujetsch)
Von Walram Derichsweiler
en: Die Alpen Nr. 10/1929
Tavetsch? Was ist das für ein eigentümlicher Name? Liegt das auch im Bündner Oberland? Tavetsch, romanisch Tujetsch, ist eine bündnerische Gemeinde des Bezirkes Vorderrhein im Kreise Disentis. Wer ist nicht schon einmal von Andermatt aus dem Urserental über den Oberalppass – die Tujetscher sagen „sur Cuolm d’Ursera„, in Abkürzung „sur Cuolm“ – nach Disentis ins Vorderrheintal gewandert oder umgekehrt? Dann kam er durch das ganze Tujetsch hindurch. Dort, wo der Bach der Val Gierm (romanisch = Grenztal) von Süden in den Vorderrhein fliesst, durchschneidet die Talstrasse die östliche, und oben auf der Oberalppasshöhe beim Gasthaus zum Hospiz die westliche Grenzlinie der Gemeinde Tujetsch. Meist kurze, steile Täler laufen dazwischen von der Talsohle zum nördlichen Grenzkamm von Uri hinauf. Lange Täler ziehen nach Süden zum Tessiner Grenzkamm. Etwa 130 km2 umfasst, auf der Karte gemessen, das Gebiet dieser obersten Gemeinde des Bündner Oberlandes. Es weist zum grössten Teil unproduktiven Eis-, Fels- und Schuttboden auf. Daher beträgt die Bevölkerung da oben in 1400 bis 1600 m Höhe bloss etwa 830 Personen. Ständig bewohnt ist das Haupttal, die Seitentäler werden nur im kurzen Sommer mit Vieh bestossen, sind im Winter verlassen.
Einen Ort Tujetsch gibt es nicht und hat es auch nie gegeben, obwohl alte Karten einige Häuser andeuten mit diesem Namen, obwohl alte Landesbeschreibungen einen solchen als Ortsnamen anführen und obwohl Resch sogar eine Stadt der Rätier an den Quellen des Rheins, Taxgaetium, die er bei Ptolomaeus (138 bis 161 n. Chr.) fand, im Anhang zu seiner 1755 gezeichneten Karte Rätiens im 5. Jahrhundert als Tujetsch erklärt, was aber gar keine Berechtigung hat. Der Name Tujetsch umschliesst eine Gemeinde aus mehreren Ortschaften. Sedrun ist der Hauptort, ob der älteste Ort ist fraglich. In einer Urkunde von 1456 sind zwei Höfe Sur– und Sut–Dragun angegeben. Aus Sut–Dragun (d. h. unterhalb des Drun Wildbach) ist dann der Name Sedrun entstanden, wie er 1555 vorkommt neben Sudragun. Ein Sur Sedrun (Sedrun Sura) besteht noch. In Sedrun (wenn nicht in Rueras) dürfte wohl die älteste Talkirche gestanden haben, nach welcher der Ort auch romanisch Sogn Vigeli genannt wurde. Bei der Besetzung der Hauptämter der Gemeinde wechseln jetzt Bürger von Sedrun mit solchen der benachbarten Ortschaften Rueras und Camischolas ab. Ausser den genannten Ortschaften zählen noch folgende zur Gemeinde Tujetsch:
Bugnei, Cavorgia, Gonda, Selva, Surrein, Tschamut, Zarcuns
und einige Höfe. Die hauptsächlichsten der dortigen Geschlechtsnamen sind: Berther, Deflorin, Monn, Cavegn, Venzin, Caduff, Curschellas, Soliva, Beer, Schmid, Riedi, Peder, viele schon in alten Urkunden und Rodeln genannt. Die Tujetscher sind ausschliesslich Rätoromanen und katholischen Glaubens.